http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,201324,00.html
AUDIOGALAXY VOR DEM AUS
"Befreit die Musik, kastriert die Anwälte!"
Von Frank Patalong
Die P2P-Börse Audiogalaxy, verklagt wegen Copyright-Verletzungen, braucht vor einer drakonischen Strafe keine Angst mehr zu haben: Die Lobbyvertretungen der Musikindustrie stimmten einer außergerichtlichen Einigung zu. Dafür verlangen sie nur zwei Dinge: Viel Geld - und den virtuellen Selbstmord der Börse.
"Pixzyeyes" ist sauer, sehr sauer sogar. "Befreit die Musik", hallt sein oder ihr Posting in den Foren von Audiogalaxy, "kastriert die Anwälte!"
Was für eine treffende Beschreibung für das Koordinatensystem des ganz normalen Internetnutzers: Hier die begehrte Ware, kostenlos zu haben, unterhaltend, wertvoll, und alle teilen freigiebig! Da die Schergen der Kommerzwelt, die das Web erdrücken, eine P2P-Börse nach der anderen kaputt machen, dem Internet immer mehr von seiner Nützlichkeit nehmen. Ihr neuestes Opfer: Die Musiktauschbörse Audiogalaxy.
"Goodbye", schreibt "atporres" im gleichen Forum, "AG hat's endgültig hinter sich. Wie heißt die nächste Quelle für uns armen Piraten?"
Galgenhumor ist das, denn der gemeine Web-Musikfan ist ja Kummer gewohnt. Eine geliebte Marke geht den Jordan hinunter? So ein Mist aber auch: Virtuelles Schulterzucken, die Karawane zieht weiter.
Den Betreibern von Audiogalaxy geht diese Form von Humor derzeit wohl ab, denn sie stehen direkt unter dem Seil: Dabei hatte noch vor wenigen Wochen alles so gut ausgesehen.
Frühling: Kurze Blütezeit eines Möchtegern-Erben
Der Aufstieg von Audiogalaxy begann mit dem Abstieg von Napster. Dieser Prototyp der P2P-Dienste wurde im Sommer 2000 durch die Lobbyorganisation der Musikindustrie RIAA in den Stillstand geklagt. Ein seit Oktober 2000 andauerndes Techtelmechtel mit Bertelsmann führte dazu, dass Napster erst vor wenigen Wochen erwartungsgemäß Bankrott anmelden musste, um im weiteren Verlauf von Bertelsmann absorbiert und zu einem erfolgreichen, legal operierenden Dienst ausgebaut zu werden.
Glaubt Bertelsmann, zumindest öffentlich, dafür aber lautstark.
Den Fans ist das völlig egal, es geht ihnen am Hintern vorbei, sozusagen: Wer war noch mal Napster?
Für die Fans war Napster tot, als es dort nichts mehr zu tauschen gab. Binnen Wochen hatten sich die potenziellen Erben zum Rennen um die höchsten Kunden-Quoten aufgestellt. Einige fielen auf die Nase, anderen stellte die RIAA ein Bein, wieder andere beharkten sich gegenseitig nach Kräften.
Audiogalaxy profitierte vom Streit im FastTrack-Netz
Vorbei:Musikdownloads bei Audiogalaxy "funzen" nicht mehr
Audiogalaxy schien einer der aussichtsreichsten Kandidaten zu sein, wenn es darum ging, P2P irgendwann einmal legal und zu Geld zu machen.
Der Dienst, von den Fans kurz "AG" genannt, galt als reichhaltig, leidlich schnell und ziemlich umständlich. Der Nutzung ging eine Registrierung voraus und der Download eines so genannten "Satelliten": Ein Software-Client war das, mit dem man seine Suchen und Downloads initiierte. Der funktionierte aber nicht für sich allein, sondern nur im Verbund mit der Webseite: Den Nutzern erschien er als eine Art "Fernbedienung".
Was natürlich gequirlter Unsinn ist: Die eigentümliche Technik diente vor allem dazu, den User an den Bildschirm zu binden. Audiogalaxy schien auf dem besten Wege, bald schwarze Zahlen schreiben zu können: Der Businessplan des Unternehmens fußt auf werbender Vermarktung, auf dem "Verkauf von Aufmerksamkeit", wie man in den USA sagt. Davon hatte Audiogalaxy eine Menge: Die Website meldete im November 2001 die unfassbare Zahl von 1,5 Milliarden Logins.
Trotzdem war Audiogalaxy zu diesem Zeitpunkt bestenfalls die Nummer zwei, wahrscheinlicher die Nummer drei oder vier: Vorn lag zur Jahreswende Morpheus, einer der drei Dienste des FastTrack-Netzwerkes. Das zerbrach jedoch im Frühjahr, als der Kerndienst KaZaA den ungeliebten Partner, der angeblich zudem seine Rechnungen nicht bezahlt haben soll, vor die Tür setzte. KaZaA selbst wächst seitdem beständig, während Morpheus aus der Unterwelt ab und an ein Comeback versucht.
Seitdem macht P2P weniger Schlagzeilen, boomt aber mehr denn je: Zu Morpheus' Blütezeit tummelten sich zu jedem gegebenen Zeitpunkt 500.000 bis 800.000 User im FastTrack-Netzwerk. Inzwischen sind es rund 1,9 Millionen - wann auch immer man sich einloggt.
Trotzdem: Morpheus' Abgang machte Platz
Was wird aus Morpheus?
Morpheus, steil aufgestiegener, schnell gefallener Shootingstar des letzten Halbjahres, legte Ende der ersten Juniwoche seine neue Software "Morpheus 1.9" vor: Die Börse stützt sich weiter auf das Gnutella-Netz, mit allen damit verbundenen Nachteilen.
Den Mangel an Performance versucht Morpheus nun mit attraktiven Dienstleistungen auszugleichen. Dazu gehört neben Telefon-Services (für die USA) nun auch ein Shop und ein Instant-Messenger - alles ganz nett, aber nicht der Grund, warum jemand eine P2P-Software anwirft.
Ein großer Teil der ehemaligen Morpheus-User ist mittlerweile auf KaZaA-Lite umgestiegen: Der Client ist mit dem alten Morpheus fast identisch und transportiert - im Gegensatz zu KaZaA - keine Schnüffelprogramme.
Die Erschütterungen des FastTrack-Netzes führten Audiogalaxy noch einmal einen Schwung an Neu-Nutzern zu: Wie die FastTrack-Dienste verfügte auch Audiogalaxy zumindest über solche Bequemlichkeiten wie Vormerkung von Songs oder die automatische Wiederaufnahme abgebrochener Downloads. Obwohl sonst im direkten Vergleich eher ärmlich, begann Audiogalaxys kurze Blütezeit.
Denn auch die Anwälte der RIAA interessierten sich zunehmend für den Dienst. Im Mai reichte die RIAA Klage ein, am 17. Juni gab Audiogalaxy bereits auf: Die Napster-Geschichte wiederholt sich. Noch in der Nacht zum 18. Juni verschwanden die copyrightgeschützten Angebote bei Audiogalaxy.
Dafür darf der Dienst nun zahlen: Eine nicht genannte, aber "substanzielle" Summe als Kompensation für vergangene Copyright-Verstöße. Eine "Einigung" ist die Regelung, weil die Musikindustrie dem Dienst künftig erlaubt, alle Materialien anzubieten, bei denen Künstler und Firma dem Vertrieb über P2P-Börsen zugestimmt haben.
Viel wird das nicht sein, und zudem kennt es kaum einer.
Audiogalaxy argumentierte vor Gericht natürlich, dass die Börse auch legale Nutzungsmöglichkeiten biete. Ziemlich erfolglos versuchten sich die Bertreiber sogar am Ausfiltern copyrightgeschützter Stücke. Als diese schließlich einfach aus dem zentralen Index entfernt wurden, nahmen die Fans das so war: "Hey, mein Satellit funktioniert nicht mehr".
Denn natürlich geht das Interesse an urheberrechtsfreier Musik von Newcomerbands in P2P-Börsen gegen null. Audiogalaxy ist, da sind die Fans sich schon jetzt sicher, so gut wie tot. Die Geschäftsführung wird das anders sehen und in den nächsten Wochen so manchen Gimmick erproben, so viele Nutzer zu binden wie nur irgend möglich.
In den Foren von Audiogalaxy kippte die Diskussion schon nach knapp zwölf Stunden: Die wüsten RIAA-Beschimpfungen verschwanden. Stattdessen beherrscht nun vor allem ein Thema die Diskussion: "Wohin ziehen wir jetzt, Leute?"