Drei-Hoden-Bob
freak im schritt
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Gartenbesitzer klagen über den mysteriösen, massenhaften Diebstahl von Hortensien. Die Blüten der Strauchgewächse sollen berauschende Wirkung besitzen. Doch trotz kriminalistischer Feinstarbeit kommt die Polizei den Tätern nicht auf die Spur.
Zuerst hatte Jutta Schaller, 59, ihren Mann im Verdacht. Wer sonst hätte die Hortensie im Garten beschneiden sollen? Mit fachmännisch-schrägem Schnitt hatte jemand die jungen Triebe aus der Mitte der Pflanze entfernt. "Ich wunderte mich noch, warum sich mein Mann auf einmal um die Blumen kümmert", erzählt sie. Udo Schaller, 63, wies jedoch jede Schuld von sich; er bezichtigte vielmehr seine Frau, Hand an die Hortensie gelegt zu haben. Ihren Streit legten die Eheleute aus dem brandenburgischen Rathenow erst bei, als die Nachbarn von ähnlich mysteriösen Vorgängen berichteten: In ihrem Vorgarten hatten sich die Trieb-Täter ebenfalls an den Hortensien zu schaffen gemacht. Insgesamt sind der Rathenower Polizei seit November schon 70 solcher Fälle bekannt. Auch in den Nachbardörfern haben sich Opfer gemeldet.
Anfangs konnten sich die Ermittler das geheimnisvolle Verschwinden der Blütensträucher nicht erklären, jetzt scheint das Rätsel gelöst: Vermutlich missbrauchen Jugendliche die Hortensie als neue Bio-Droge. Auf der Suche nach dem ultimativen Kick durchstreifen sie die Vorgärten und pflücken, was sich verwerten lässt. "Die Szene ist sehr experimentierfreudig", sagt Catrin Feistauer von der Polizei Havelland.
Euphorisierende Wirkung frischer Triebe
Der gemeinen Hortensie - Botanikern als "Hydrangea" bekannt - wird laut einer Studie des brandenburgischen Landeskriminalamtes ein "berauschendes Wirkpotenzial" nachgesagt. Werden frische Triebe, Blätter oder Blüten geraucht, sollen sich "euphorisierende Wirkungen einstellen". Die Hortensie werde daher als "Marihuana-Substitut" eingeschätzt. Im Gegensatz zu echtem Stoff ist der Trip aus den Rabatten jedoch völlig legal: Hortensien unterliegen nicht dem Betäubungsmittelgesetz.
Dass sich in der Gartenpflanze keinerlei Substanzen nachweisen lassen, die dem Marihuana-Wirkstoff THC verwandt sind, hält Hortensien-Junkies offenbar nicht vom Konsum ab: "Einbildung macht viel aus", erklärt Matthias Melzig, Professor für Pharmazeutische Biologie an der Freien Universität Berlin. "Das ist wie bei einem Placebo: Wer daran glaubt, spürt tatsächlich etwas." Fachleute warnen allerdings vor der Gefahr einer Überdosierung. In größeren Mengen führen die Blumen-Joints zu Schwindelgefühl, Beklemmungen und Störungen des zentralen Nervensystems.
Brandenburg ist nicht das einzige Bundesland, in dem Hortensien auf seltsame Weise verschwinden. Im westfälischen Münster registrierte die Polizei schon 1999 mehr als hundert Fälle. Im vergangenen Jahr machten auch in Minden und Holzminden Strauch-Diebe von sich Reden. Am stärksten aber litten Gartenfreunde in Schleswig-Holstein: Dort schlugen die Täter im vergangenen Jahr über 3000-mal zu - vor allem in den Wintermonaten.
Besonders auffällig: Die Hochburg der norddeutschen Hortensien-Diebe, Rendsburg, ist ausgerechnet die Partnerstadt von Rathenow. "Ich glaube an keinen Zufall", sagt Polizistin Feistauer. Also überprüften die märkischen Fahnder alle Personen, die in den vergangenen Jahren von Rendsburg nach Rathenow umgezogen waren - jedoch ohne Ergebnis.
Hortensien-Mafia im Verdacht
In Münster hatten die Ermittler sogar schon eine Art Hortensien-Mafia im Verdacht, die angeblich bandenmäßig organisiert war. "Wo in Deutschland werden Hortensien-Triebe billig und in großen Mengen angeboten?" rief die Polizei die Bevölkerung zur Mithilfe auf, selbst eine Hortensien-Hotline wurde eingerichtet. Doch auch hier: keine Spur.
Die Beamten in Schleswig-Holstein vermuteten dagegen zunächst Hasen oder Kaninchen als die tatsächlichen Übeltäter, die sich über die Pflanzen hermachen. Wie aber kommen dann Schnitte zu Stande, so akkurat wie mit der Gartenschere? Und warum wurden nie Hasen-Kötel entdeckt? "Es wäre auch zu merkwürdig, wenn die Tiere ausgerechnet in diesem Jahr auf den Geschmack gekommen wären", meint Kleingärtnerin Jutta Schaller. Böse Zungen warfen den Hortensien-Besitzern sogar vor, ihre eigenen alten Schnitte mit den unerbetenen neuen zu verwechseln. Nur: Die wenigsten Hobby-Gärtner hatten ihre Hortensie überhaupt jemals beschnitten. Selbst Gerüchte, ausländische Gangster würden die gestohlenen Pflanzenteile mit Goldstaub besprühen und als Adventsschmuck verkaufen, machten die Runde.
Angesichts solch widersprüchlicher Theorien haben es die Ermittler in Schleswig-Holstein mittlerweile aufgegeben, dem Hortensienschwund auf den Grund zu gehen. "Vielleicht macht sich ja jemand einen höllischen Spaß und führt uns alle an der Nase herum", seufzt Sönke Voß von der Polizei Rendsburg: "Ich erinnere nur an die Kornkreise." Die "Bild"-Zeitung vermutet gar, dass überirdische Mächte im Spiel sind und fragt: "Werden unsere Hortensien von Aliens geschnitten?" In Rathenow glaubt indes niemand an außerirdische Täter. Um dem Spuk ein Ende zu bereiten, legten sich mutige Bürger deshalb des Nachts auf die Lauer. Einmal konnten sie sogar eine verdächtige Gestalt festhalten. Bei genauerem Hinsehen stellte sich allerdings heraus: Es war der Zeitungsbote.
quelle: www.spiegel.de
Aus: Hessens charmantestem Sündenpfuhl | Registriert: Jun 2001
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