wenn jetzt schon requiem for a dream angesprochen wurde, muss man natürlich auch PI erwähnen. beide filme sind von dem new yorker regisseur darren aronofsky.Requiem for a Dream
Da, wo ein innovativer Regisseur sich frei austoben darf, produziert er oft herausragend gefilmte Fragwürdigkeiten, weil seinem Gestaltungstalent der Stoff fehlt, das Buch, der Autor. Regisseur Darren Aronofskys Hang zum Düster-Apokalyptischen und seine revolutionäre filmische Potenz werden niemandem entgangen sein, der den viel versprechenden Film "Pi" kennt. Ein wahrer Glücksfall aber ist sein zweites Werk "Requiem for a Dream", weil sich Aronofskys Kraft und Ideenreichtum darin mit nichts geringerem als einer Romanvorlage (und dem Co-Drehbuch) des kompromisslosen Hubert Selby jr. ("Letzte Ausfahrt Brooklyn") (im Film in einer Nebenrolle als Gefängniswärter zu sehen), messen konnten. Ein starkes Stück Kino ist das Ergebnis dieser fruchtbaren Paarung.
Das Fernsehen ist Gott und Droge. Hier entstehen Normen und Werte, hier wird "im doppelten Wortsinn Gesellschaft geleistet" (Jens Jessen, Die Zeit) und hier werden Träume produziert, die besser sind als die reale Welt. Wie ein Gottesdienst wird die Tappy-Tibbons-Schlankheits-TV-Show zelebriert, die (neben Pralinen) zu Sarah Goldfarbs ( Ellen Burstyn "Der Exorzist") einzigem Lebensinhalt geworden ist, seit ihr Mann tot ist und ihr Sohn Harry (Jared Leto) die elterliche Wohnung auf Coney Island verlassen hat.
Harry braucht Sarahs Fernseher nur gelegentlich, und zwar, um ihn beim Pfandleiher gegen Bargeld einzutauschen, mit dem er seine Drogen finanzieren kann: Marihuana, Kokain, LSD und Heroin. Die liebende Mutter ist nachsichtig und löst das Gerät immer wieder aus.
Als Sarah aufgeregt erfährt, dass sie zur "Tappy-Tibbons-Show" geladen ist, stürzt sie der Umstand in Konflikt, dass ihr bestes Stück, das rote Kleid, für sie zu eng geworden, - sprich, dass sie zu dick fürs Fernsehen ist. Unfähig, eine Diät durchzuhalten, lässt sie sich von einem verantwortungslosen Arzt mit Appetitzüglern helfen, bunten Pillen, die sie nach und nach abhängig und psychisch krank machen.
Zur selben Zeit ist Harry gemeinsam mit seinem Freund Tyrone (Marlon Wayans) ins große Drogengeschäft eingestiegen. Mit gestrecktem Heroin versuchen sie innerhalb kurzer Zeit so viel Geld zu verdienen, dass sogar für Harrys Freundin Marion (Jennifer Connelly) genug abfällt, um selbständige Modedesignerin zu werden. Der große Deal scheint auch fast zu funktionieren, wäre da nicht die ständige Versuchung des "Schusses zwischendurch". Der tägliche Eigenbedarf wächst im gleichen Maße, wie sich die Situation auf dem Heroinmarkt verschlechtert. Die jungen Leute werden bald mit äußerster Brutalität konfrontiert, und Marion sieht ihre einzige Chance in der Prostitution.
Spätestens ab jetzt wird der Zuschauer mit den Protagonisten kurzgeschlossen und in einem im Kino bisher unvergleichlichen Strudel der Bilder auf die Reise geschickt: Die Reise der Mutter, die ihre Umwelt bald nur noch verzerrt wahrnimmt und halluziniert, die des Sohnes und seiner Freunde, die zu allem bereit sind, um an Heroin und Geld zu gelangen. Abwärts führt die Spirale der Süchte, enger und enger werden die Kurven, kürzer und kürzer die Schnitte, im Staccato der Cuts wechseln sich vier Abstürze ab, gnadenlos folgerichtig, vom kleinen Desaster bis zur absoluten Katastrophe. Jeder ist am Schluss allein, doch für jeden führt der Weg an dasselbe Ziel, - den Ort, an dem seine Träume gestorben sind.
Der Plot von "Requiem for a Dream" hat, unter anderem, alle Merkmale des klassischen Drogenaufklärungsfilms, wie z.B. "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", dessen Botschaft lautet: Mit harten Drogen ist nicht zu spaßen. Wer meint, sie kontrollieren zu können, wird bald von ihnen kontrolliert und körperlich und seelisch zugrunde gerichtet. Aber "Requiem for a Dream" handelt auch von der generellen Perspektivlosigkeit und Vereinzelung in einer teilnahmslosen Gesellschaft, die nicht nur die Flucht in die Droge provoziert, sondern sie sogar, im Fall der Mutter, ärztlich verordnet.
Der Automatismus des Drogenkonsums spiegelt sich wiederholt in sich gleichenden, mechanisch ablaufenden, blitzschnellen Schnittfolgen: bei Harry das Aufkochen, das Injizieren, die Pupillenerweiterung, bei Sarah das Öffnen der Tablettendose, die Tabletten in der Hand, das Schlucken, oder das Nach-der-Fernbedienung-greifen, den Power-Schalter-drücken, das Flimmern des Bildschirms. Immer sind es mechanische, halbbewusste Handgriffe zum Starten der "stimmungsaufhellenden" Maschinerie, Angewohnheiten, die z.B. jeder Raucher bei sich selber beobachten kann. Wie Aronofsky diesen Mechanismus visuell entlarvt, das ist geniale Filmsprache. Das Getrenntsein der Menschen voneinander wird im Film häufig verdeutlicht durch eine "Split-Screen"-Bildmontage. Selbst die beiden Liebenden beim Liebesspiel auf Heroin finden nicht aus ihrer Bildhälfte, also ihrer Abgeschlossenheit heraus und wirklich zu einander.
Jeder bleibt in seinem privaten Scheitern für sich allein, und das Ideal des amerikanischen "Way of Life", ein glückliches, erfolgreiches Leben, ist unerreichbar.
Der in der amerikanischen Verfassung verankerte Grundsatz, "The Pursuit of Happiness", also das "Streben nach Glück" ist zum Streben nach dem Siegerlächeln im gelifteten Gesicht verkommen, zu einer dogmatisch angeordneten, idealisierten Oberfläche, die für die desorientierte Sarah die Bedrohlichkeit einer inquisitorischen, aus dem Fernseher in ihr Appartement brechenden Instanz annimmt, weil ihr leeres Leben diesem Vorbild in keiner Hinsicht entspricht oder auch nur ähnelt, - so sehr sie sich es auch wünscht. Verwirrt durch diesen unauflösbaren Konflikt bleibt ihr nur die Alternative, sich selbst zum Dauergast der Fernsehshow zu halluzinieren.
Wer heroinsüchtig ist, wird nicht wie ein Kranker behandelt, sondern wie ein Krimineller. Wer verwirrt ist, wird bis zum Ich-Verlust psychiatrisch "therapiert".
Extrem negative Auswirkungen einer inhumanen "psychosozialen Hygiene" liegen in "Requiem for a Dream" auf engstem Raum zusammen. Ein möglicher Grund, den Film als zu einseitig schwarzmalerisch zu empfinden. Interpretiert man aber die zweifellos bewusst verdichtete Handlung (doppelt verdichtet durch ihre immer stilsichere, ästhetisch einheitliche, aber auch grelle filmische Umsetzung) als komprimierte Konsequenz eines Missverhältnisses zwischen verlogener Fassade und bitterer Wirklichkeit der USA beginnt man, diesen Zusammenbruch kleiner Träume auch als etwas Größeres zu begreifen, als den Kollaps des Amerikanischen Traums selbst.
Neben der herausragenden Optik von "Requiem" müssen auch unbedingt der großartige Soundtrack und die Soundeffekte gelobt werden, - in jeder Hinsicht adäquate akustische Entsprechungen- und: Nicht nur der Film (der übrigens unverständlicherweise in Deutschland mit nur einer Kopie in die Kinos gelangte), auch die Internetseite zum Film ist aufregend, absolut sehenswert- und eigentlich schon ein Film für sich...
Andreas Thomas / Wertung: * * * * * (5 von 5)
quelle: http://filmrezension.de/filme/requiem_for_a_dream.shtml
Pi
Manche Filme muß man nicht verstehen, man muß sie wirken lassen, sich ihnen ausliefern. "P", das Spielfilmdebüt des amerikanischen Regisseurs Darren Aronofsky, fordert die Entsagung vom üblichen Weltbild und schlägt den Zuschauer in einen Bann, dessen Ausgangspunkt die völlig fremdartige Gedankenwelt eines Besessenen ist.
Expressiv, fiebrig, unruhig kreist die Kamera um den Einzelgänger Max Cohen (Sean Gullette), verfolgt ihn unaufhörlich. Die winzige Wohnung des hochbegabten Mathematikers - ein modernes Schreckenslabor - wird ausgefüllt von einem selbstgebauten Computer, so wie sein Leben dominiert wird von endlosen Berechnungen. Er sucht den universellen Zahlencode des Universums, ein alles erklärendes Muster - und je näher er diesem Ziel kommt, desto mehr verflüchtigt sich die Alltags-Welt. Cohen kontrolliert nicht mehr, seine Vision hat sich verselbständigt.
Am weitesten öffnet sich der Schlund des Wahnsinns, wenn qualvolle Anfälle den abtrünnigen Wissenschaftler zusammenbrechen lassen. Unheimlich wirkungsvoll macht "P" die Schmerzen seines Protagonisten an Leib und Seele fühlbar - Musik, Geräusche und Bilder in einer traumhaften Einheit. In solchen Momenten scheint Cohen der Lösung am nächsten, bis ein alles überdeckendes weißes Licht den rasenden Wahnvorstellungen ein Ende setzt.
Die Idee hinter diesem außergewöhnlichen Science-Fiction-Thriller sind nicht neu: Besessenheit von einer Zahl gab es auch in "23". Düsternis und Beklemmung scheinen direkt aus Kafkas Universum aufgestiegen. Streckenweise wähnt man sich in einer Verfilmung von Umberto Ecos "Focaultschem Pendel". Wer sich letztlich für die alles erklärende Zahl interessiert, die tatsächlich nur in Cohens Kopf existiert, ist fast nebensächlich: Mysteriöse Börsenmakler und eine Gruppe jüdischer Orthodoxer, die in der Zahl den wahren Namen Gottes sieht.
"P" macht aus Mathe-Meidern keine Zahlenfetischisten, aus rational Denkenden keine Besessenen. Aber dieser großartige Film läßt erahnen, daß es, fast im Unsichtbaren, ein Leben gibt, daß von Zielen außerhalb der normalen Vorstellungskraft beherrscht wird. Der kurze Blick auf die dunkle Seite legt einen schwarzen Schleier über die Welt. Zum Glück nur für kurze Zeit, schließlich sind wir ja normal.
Sind wir?
quelle: http://www.cineclub.de/filmarchiv/pi.html
[ 18-07-2002: Beitrag editiert von: Drei-Hoden-Bob ]