der dokumentation dieses denkwürdigen abends halber.. da hier kein augenzeugenbericht hergefunden hat..Aphex Twin, Whitehouse und Satanstornade - eine Orgie aus Schmerz und erhebendem Lärm
Man kann das mit Worten eigentlich gar nicht beschreiben, was einen in der Nacht zum Montag da in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz überkam; was einen da überkam an wunderbarem ohren- und brust- und lungen- und lebensadernzerfetzendem Lärm: Jeder Begriff parodiert die Intensität der Erfahrung, das erhebende Glück dieser alles niederwerfenden Kompromisslosigkeit.
Doch einerlei. Was konnte man sehen? In den ersten Momenten, als Satanstornade - Russell Haswell und Masami Akita - ihren basslastigen, aus schleimdickem weißen und rosa Rauschen und unangenehmst knapp synkopisch gegen den Rhythmus des normalen Herzschlags stolpernden Lärm auf das Volksbühnenpublikum niedersenkten - in den ersten Momenten dieses herzbeklemmenden Krachs, da schwankten die Menschen erst instinktiv schutzsuchend zwischen den kathedralenhohen Bassboxen hin und her, auf der Suche nach einem Ort, an dem sich der Druck auf das Bauchfell und die Ohren halbwegs ertragen ließ. Dann flohen sie. Oder aber sie legten sich - eine Lösung, die interessanterweise insbesondere von den zahlreich anwesenden japanischen Hörern bevorzugt wurde - bombenopferflach, mit den Vieren von sich gestreckt, auf die Erde und ließen ihren Blick hoch in die Kathedrale des Schnürbodens schweifen. Wie in der Hoffnung, dass derart die schlimmsten Druckwellen einfach über einen hinwegbranden würden - oder wie auf der Suche nach der spirituellen Erhebung, in die sich der niederschmetternde Krach alsdann dialektisch verkehrte.
Manche wollten sich jedenfalls erst wieder erheben, als die nächste Band auf die Bühne trat. Dann aber erhoben sich eilig auch die letzten: weil das hirn- und schädelknochenzersägende 20.000-Hertz-Pfeifen, mit dem Whitehouse - William Bennett und Philip Best - ihre ansonsten aus konvulsivisch zuckenden Bassgeräuschschleifen und sadistischem Geschrei bestehenden Stücke verzieren, jedes kontemplative Herumliegen verhindert. Aber auch, weil das ganze konvulsivische Schreien und Zucken das bis dahin betäubt herumliegende oder vor sich hinwankende Publikum in einen seltsamen gruppenerotisierten Rauschzustand versetzte; das schreiende Faustrecken, mit dem Whitehouse ihre Hörer begrüßten, wurde nach einer Weile jedenfalls frenetisch mit faustreckendem Schreien gekontert. Fäuste, die - anders als man Whitehouse gelegentlich unterstellt - freilich nicht die Fäuste des Faschismus sind, sondern vielmehr die Fäuste des Fistfuck: Wo bei Satanstornade der kalte Krach der Maschinen regiert, herrscht bei Bennett und Best der heiße weiße Lärm der sperma- und kotverschleudernden Orgie.
Gibt es für diese Art von Musik einen besseren Ort als die Volksbühne? Zuletzt spielten Whitehouse vor zwei Jahren in Berlin: im Stellwerk, einer klandestinen Dark-Wave-Diskothek in Friedrichshain, vor einem mehrheitlich kahlrasierten und tarnhosentragenden Männerpublikum. Ein Mob, dem man ungleich weniger gern beim Fäusteschwingen und "I'm coming up your ass"-Rufen zusah als den zivilisierten Volksbühnenbesuchern: "Ja, das war ein Konzert, das uns nicht so viel Spaß gemacht hat", sagt William Bennett denn auch rückblickend im Gespräch: "Man hatte nicht das Gefühl, dass dort besonders intellektuell an die Sache gegangen wurde." Muss man erwähnen, dass Bennett ein zarter und empfindsamer Denker ist, mit dem sich sonntagnachmittags bei einem Tässchen grünen Tees trefflich über Subjektivität und Unterwerfung, Überschreitung und Transzendenz philosophieren lässt?
Muss man ferner erwähnen, dass Richard D. James alias Aphex Twin, der am erschöpfenden Ende dieses erschöpfenden Abends bis um zwei Uhr in der Früh ein nicht enden wollendes DJ-Set mit den abstraktesten und dennoch mitreißendsten, den untanzbarsten und zugleich körperdurchdringendsten EBM- und Techno- und Drum'n'-Bass-Rhythmen absolvierte, seinen Blick während der ganzen Zeit kaum ein einziges Mal an sein außer Rand und Band geratenes Publikum wandte? Der Schrat aus Cornwall hat nach eigener Auskunft ja die erste Million aus seinen DJ-Honoraren in einen kleinen Panzer investiert; mit diesem fährt er seither im Garten seiner von ihm abnabelungstraumahalber hassgeliebten Mutter umher.
Nein: Es gibt für diese Art von Musik keinen besseren Ort als die Volksbühne; und es gibt für die Volksbühne keine bessere Art von Musik. Frank Castorfs Selbstüberschreitungstheater, seine volksbühnentypisch gewordene Mischung aus Vitalismus und Nihilismus, triebphilosophischer Reflektiertheit und rauschhaften Narreteien, hat in dem Konzertprogramm, das Christoph Gurk für ihn zusammenstellt, eine kongeniale Ergänzung erhalten. Bürgerliche Hochkunst und Pop, das 19. und das 21. Jahrhundert, treffen sich auf der Augenhöhe des Sich-selbst-und-andere-Quälens. Gibt es neben der Volksbühne ein zweites Theater, das so etwas von sich behaupten kann?
(Jens Balzer)
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Wenn das Geschirr im Oberstübchen zittert
Wenn diese Burschen zusammentreffen, dann sicher nicht zur Besäuselung Zartbesaiteter: Hochkonzentriert sitzen sie hinter ihren Laptops und fluten den Saal mit einer Musik, die ausgehalten werden will. Satanstornade nennt sich das gemeinsame Projekt des japanischen Noisemakers Masami Akita a.k.a. Merzbow mit dem britischen Elektrotüftler Russell Haswell, die bei diesem Ohrmuscheltest in der ausverkauften Volksbühne den Auftakt machen. Da peitschen Stahlruten die Luft, jaulen gehetzte Elektronen. Es klingt wie das Bremsen eines rasenden Metallungetüms, als wäre einer dabei, menschliche Nerven am Spieß zu rösten. Keiner wagt es zu tanzen, seine Erschütterung zu zeigen. Dann Withouse, das britische Bürgerschreck-Duo, das sich als eine Art Anti-"Blues Brothers" präsentiert, gegenseitig zu provokanten Gesten und nihilistischen Tiraden anspornt, um von der einfallslosen Musik abzulenken, die nur aus einem bis in finsterste Folterkeller heruntergestimmten Industrial-Dauernervton-Gemurkse besteht.
Da bleibt nur die Rettung durch Richard D. James a.k.a. Aphex Twin, den rätselhaftesten aller Elektrolurche. Auch ein Superstar, der für einen seiner raren DJ-Auftritte nur 10 Platten mitbringt, der Rest kommt aus seinem Laptop, den er mit MP3-Dateien gefüttert hat und nun den Leuten als Non-Stop-Action-Schüttel-Groove um die Ohren bläst. Sein tobender Raubzug aus dem Internet beginnt mit einem Hochfrequenz-Pfeifton. Eine ins Mark gehende Vorstellung. Dynamischer Tanz des Phongottes: bollernde Breakbeats, bullige Rückkopplungen. Das Geschirr im Regal des Oberstübchens zittert noch immer.
(Volker Lüke)